Ich hasse dich


Was ist das für eine Person, die Amok läuft? Wie kann man so etwas machen? Was ist das für ein Mensch?
- Ist das überhaupt noch ein Mensch?

Das sind Dinge, die jemandem durch den Kopf gehen, wenn man von einem so schrecklichem Ereignis hört. Natürlich kommt auch das "Wieso, weshalb, warum?" zum Einsatz. Doch irgendwo bleibt immer im Hinterkopf: Wer macht so was?

Mit ihrem Buch "Hate List" nähert sich Jennifer Brown im Konflikt diesen Fragen und das nicht unkompliziert.
Nick Levil war Valeries Freund. Er lief Amok. Er tötete Menschen. Und doch kommt Valerie nicht über ihn hinweg. Wie also mit so einer Situation umgehen?
Nick ist nicht dieses menschenmordende Monster. Das macht Brown schon nach den ersten Seiten klar. Sie gab ihm eine teilweise sehr liebenswürdige Seite. Es hört sich erschreckend an, aber man bringt Mitgefühl für ihn auf, man kann seine Wut verstehen. Kann man das wirklich verstehen?
Ja. Nick hatte es nicht leicht. Familiäre und auch schulische Probleme, wie Mobbing, machten ihm zu schaffen. Eine so schreckliche Tat wird dadurch natürlich nicht gerechtfertigt. Opfer sind die Toten und verletzten, das ist klar. Jedoch ist Nick ebenfalls eines, das sollte man auf keinen Fall vergessen und "Hate List" lässt dies nicht zu.

"My son may have been the shooter, but he's still a victim," [...] "Damn those media sharks who think that something like this isn't already tearing my family apart. Do they think this won't rip our hearts out to see our son put a bullet through his brain time and time again?" Levil's stepfather added tearfully. "Our son is dead, too. Please don't forget that." (Hate List, 280)

Nick war jemandes geliebter Sohn. Er war jemandes bester Freund und jemandes Freund. In diesem Fall von Valerie. Die Geschichte handelt größtenteils von Valeries Umgang mit dem Geschehenen, der ein weiteres unglaublich interessantes Licht auf den gesamten Sachverhalt wirft.
Denn obwohl Nick Menschen das leben genommen hat, obwohl er sie in diese missliche Lage nach dem Amok gebracht hat, liebt sie ihn noch immer. Kann man so jemanden lieben?
Ja. Was würdet ihr machen, wenn ein geliebtes Familienmitglied, ein geliebter Freund Amok läuft? Kann man da ernsthaft von einem Moment auf den anderen sagen "Ich hasse diese Person!"? Immerhin war er für sie da, war ihr bester Freund, dem sie sich anvertrauen konnte.Sie hat ihn geliebt!

We'd always talked about everything, even the hard stuff like our parent's marriages and the names kids called us at school and how sometimes we felt like nothing. Like less than nothing. (Hate List, 28)

In einem besonders heiklen Umstand steht sie dadurch, dass sie theoretisch nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache ist. Die Auswahl der Opfer basiert auf der "Hate List", die das Buch auch als Titel trägt. Angefangen hatte alles, indem Valerie Dinge, die sie 'hasst' auf eine Liste, Hassliste, schreibt, um Dampf abzulassen. Für Valerie nur ein Mittel zum Zweck, für Nick dagegen von sehr viel tieferer Bedeutung.

And that's how it started: the infamous Hate List. Started as a joke. A way to vent frustration. But it grew into something else I'd never guessed. (Hate List, 135)

Vor allem diese Liste wirft viele Fragen auf. Wann ist Hass gerechtfertigt? Ist Hass überhaupt jemals gerechtfertigt? Wo steht jemand, das Thema "Mobbing" betreffend? Wo stehe ich dabei selbst? Gab es Situationen, in denen  ich jemanden, vielleicht unbewusst, verletzt habe?

Besonders nachdenklich macht gleichermaßen der Stand ihrer Mitmenschen. Wie gehen sie damit um? Jeder bewältigt Trauer auf eigene Weise. Manche kommen auch gar nicht darüber hinweg. Nicht verwunderlich.
Toll fand ich deshalb, dass Brown vom gewohnten Weg abweicht.
Familie verbindet man mit Geborgenheit, Schutz, Vertrauen, usw.. Doch Valeries Familie weiß selbst nicht, wie sie mit dem Amok umgehen sollen und können ihr deswegen auch stellenweise keine Unterstützung bieten. Sie muss selbst aus dem schwarzen Loch herausfinden und dennoch begegnet sie Vergebung, Reue und Unterstützung. Großartig und meiner Meinung nach auch realistisch weg vom Schubladendenken!

Menschen sind mal so und so, aber niemand ist wirklich gut, oder wirklich böse. "Hate List" zeigt das immer und immer wieder nur zu gut. Dieses ergreifendes Buch regt zum Nachdenken an, ohne das man eine Wahl hat. Eine fabelhafte Umsetzung dieser schweren Thematik! Diesem Buch sollte man unbedingt einen Blick würdigen.

"He was such a searcher. Always so angry. He was one of those kids who was just going to struggle through life. He was consumed with hate. Ruled by it, really."
No, I wanted to shout at her. No, he wasn't. Nick was good. I saw it. (Hate List, S. 47-48)

2 Kommentare:

  1. Das klingt wirklich mal nach einem vernünftigen Buch zu diesem Thema. Erst letztens las ich eine Rezi über ein ähnliches Buch, darin wurde tatsächlich das Klischee des "Zockers" breitgetreten. Jap, ein Roman der Leute über solche Themen aufklären und sie begleiten soll schürte nur noch sehr viel mehr Hass. Nicht das Computerspiel bringt Menschen um - es ist die Person dahinter und diese wird, wie du in deiner Rezi gut erwähnt hast, durch sehr viele unterschiedliche Faktoren dazu getrieben.

    Auch wenn mich das Buch nicht so sehr reizt es selbst zu lesen, finde ich es gut wenn es Bücher gibt die sich besonnen und reflektiert an schwierige Themen wagen und versuchen die Thematik aus vielerlei Hinsicht zu beleuchten.

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    1. Auf jeden Fall! Nach "Hate List" habe ich mir ziemlich viel Gedanken über diese Thematik gemacht, weshalb - sofern man halt daran interessiert ist - zu diesem Roman greifen sollte. Oft liest man ja ein Buch und will mehr über das angesprochene Thema lesen. Mit "Hate List" ist man da gut bedient.

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