Ma mère à l'Ouest ist alles andere als eine leichte Lektüre. Eva Kavian spricht in ihrem Roman sehr viele Thematiken an, über die ich mir noch nie so richtig Gedanken gemacht habe. Höchstens im Biologieunterricht und wenn man gerade etwas Aktuelles dazu aufschnappt.
Die Geschichte handelt von Betty und ihrer Tochter Samantha. Betty ist geistig behindert und liebt ihre Tochter von ganzem Herzen. Auch wenn es ihr mit ihrer Behinderung nicht leicht fällt ein "normales" Leben zu führen, schafft sie es doch ihren Alltag zu organisieren und kümmert sich aufopferungsvoll um Samantha. Bis Samantha in eine Pflegefamilie kommt, weil man der Mutter aufgrund ihrer Behinderung das Sorgerecht entzieht.
Je ne suis pas en "printemps de ma vie", parce que ma vie n'est pas une suite de saisons mais une série de tranches coupées net.
Hier beginnt Samanthas Odyssee von Pflegefamilie zu Pflegefamilie. In fast jeder Familie findet sie eine auf ihre Weise liebende Mutter, die sie nach kurzer, manchmal auch ein bisschen längerer Zeit, allerdings wieder verlassen muss. Die eine Mutter lässt sich scheiden, die andere bekommt überraschender Weise doch selbst Kinder. Natürlich ist es für Samanthas "Mütter" nicht einfach das liebgewordene Kind nicht gehen zu lassen, am schwersten sind die Trennungen jedoch nach wie vor für das Mädchen.
Samanthas und Bettys Geschichte gehört zu denen, die mir richtig ans Herz gegangen sind und über die man sich noch langer Gedanken macht. Machen muss, weil einem die Thematik einfach nicht mehr aus dem Kopf geht.
So handelt Ma mère à l'Ouest nicht nur vom Leben mit einer geistigen Behinderung, sondern auch wie man sich dem gegenüber verhalten soll. Dass man nicht sofort auf Distanz geht, nach dem Motto: damit kann ich nicht umgehen, ich weiß nicht wie ich mich verhalten soll. Man müsste einfach mehr aus sich herausgehen, auf Leute zugehen, die eben nicht so sind wie man selbst. Über den eigenen Tellerrand schauen. Weil mich kein solcher Fall in der Familie betrifft, muss ich ganz offen zugeben, dass ich nur selten bzw. noch nie darüber nachgedacht habe, wie sich das eigentlich verhält, wenn jemand wie Betty ein Kind bekommt. Oder wie das überhaupt ist von Pflegefamilie zu Pflegefamilie zu ziehen und irgendwann einfach keine Lust mehr darauf zu haben, erneut stärkere Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Oder die Frage ob Abtreibung: Ja oder Nein; wenn man selbst gesund ist, die eigene Mutter dagegen nicht und man ungewollt schwanger wird.
Das Buch wechselt ständig die Perspektive zwischen Samanthas Kindheit und Samantha im "Jetzt". Am Anfang fand ich das etwas verwirrend, weil man manchmal der Geschichte etwas hinterher humpelt. Nach einiger Zeit kommt man allerdings gut rein; wer aufmerksam liest (oder französischer Muttersprachler ist^^ oder zweisprachig aufgewachsen ist), sollte mit der Lektüre kein Problem haben. Natürlich erschwert Wechsel es zunächst etwas, die Charaktere zu fassen. Ein bisschen so als würde man Schatten fangen wollen. Hat man sich allerdings erst mal eingelesen, kommt man von Samantha und Betty nicht mehr los.
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